Dienstag, 11. Dezember 2012

11. Türchen




Ho-ho-ho ... hier ist mein Beitrag zum blogübergreifenden Adventskalender. Ich hoffe, die Story gefällt euch. ;-)


Türchen Nummer 11


Eine zweite Chance?


Noch bevor ich um die Ecke biege, ahne ich, welcher Anblick sich mir gleich bieten wird. Und ich behalte recht. Dort kauert er und es tut mir in der Seele weh, ihn so zu sehen. Sein Kopf ist  nach vorn gebeugt und die Knie stecken im Schnee. Die Hose dürfte längst schon völlig durchnässt sein, aber ich denke, er spürt es noch nicht einmal.  Die Kälte in seinem Innern überdeckt alles andere. Immer noch.

Ich bleibe direkt hinter ihm stehen. Mein Blick fällt auf den Grabstein. Stefan Mayer steht da in den Schieferstein gemeißelt – darunter Geburts- und Todestag, sonst nichts. Hilflos starre ich auf den Mann vor mir. Seine Schultern beben. Man muss kein großer Beobachter sein um zu erkennen, dass er weint.

Auch in mir steigen die ersten Tränen hoch. Nicht weil ich den Verstorbenen so sehr vermisse, sondern weil Timo es tut. Ich würde alles dafür geben, um ihm helfen zu können, doch die Lücke, die Stefan hinterlassen hat, kann niemand schließen, ich vermutlich am Allerwenigsten. Auf den Tag genau ist es nun ein Jahr her, seit Stefans Leben durch einen völlig übermüdeten LKW-Fahrer ein jähes Ende gefunden hat. Für Timo ist an diesem Tag eine Welt zusammen gebrochen. Einen Monat zuvor hatten sie ihr Fünfjähriges gefeiert. Ich kenne keine zwei Menschen, die so sehr zusammen gehörten wie diese beiden … außer vielleicht das Vorzeigepaar schlechthin – Axel und Manuel. Irgendwann musste auch ich akzeptieren, dass Timo allenfalls ein guter Freund, jedoch niemals mehr sein würde.

Wir kennen uns, seit wir Teenager waren. Die Szene in unserer Gegend ist recht überschaubar, so dass man sich als experimentierfreudiger Jugendlicher zwangsläufig über den Weg laufen muss. All die Jahre hatte ich vergeblich gehofft, dass aus Timo und mir etwas werden könnte, doch dann kam Stefan und hat meine Hoffnungen wie eine Seifenblase zerplatzen lassen. Ich habe Timo nie gesagt, was ich für ihn fühle. Wenn ich eine Chance gesehen hätte vielleicht … so aber blieb mir nur für ihn da zu sein, wenn er mich brauchte – und als Stefan nicht mehr war, hat er mich gebraucht.

Ich strecke eine Hand aus, lege sie Timo auf die Schulter und drücke leicht zu.

„Woher wusstest du, wo ich bin?“ Seine Stimme klingt erstickt.

„Ich wusste es nicht, aber ich habe es vermutet.“ Ich nestle in meiner Jackentasche, ziehe ein Päckchen Papiertaschentücher hervor und reiche es ihm.

Er nickt, nimmt ein Tempo aus der Packung und schnäuzt seine Nase.

„Komm“, ich wische ihm eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht, „ich bring dich nach Hause.“ Nahezu willenlos erhebt er sich und lässt sich von mir zum Auto führen.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis wir endlich in Timos Straße ankommen. Vielleicht kam mir die Fahrt auch nur deswegen so lange vor, weil er die ganze Zeit über keinen einzigen Ton von sich gegeben hat. Die ganze Strecke über saß er auf dem Beifahrersitz, die Hände im Schoß verschränkt und hat aus dem Seitenfenster gestarrt.

Ich bugsiere meinen Renault in eine Parklücke, schalte den Motor ab und sehe zu ihm hinüber. Endlich wendet er sich vom Fenster ab und blickt mich an. „Danke“, sagt er mit einem etwas missratenen Lächeln im Gesicht.

Ich winke schnell ab. „Schon okay.“

„Nein, lass mich bitte ausreden. Ich bedanke mich nicht fürs Herbringen, sondern dafür, dass du für mich da bist, wenn ich dich brauche, aber vor allem, dass du mich in Ruhe lässt, wenn ich nicht reden möchte. Ich weiß nicht, wie ich die letzten Monate überlebt hätte, wenn du nicht gewesen wärst. Danke, dass du mein Freund bist, Bene.“

„Dafür sind Freunde doch da, oder?“, erwidere ich lächelnd, weil mir nichts Besseres einfällt. Ich war noch nie ein Mann großer Worte. Timo ist derjenige, der mit Worten umzugehen weiß, mit einer solchen Ansprache hätte ich allerdings nicht gerechnet. Nicht hier und nicht ausgerechnet heute.

„Kommst du noch mit hoch?“, fragt er plötzlich, als er mit einem Bein schon aus dem Auto gestiegen ist.

Was für eine Frage, natürlich komme ich mit hoch. Ich nicke nur und versuche mir meine Freude nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

Timo wohnt in einem Mehrfamilienhaus, das viel Gemütlichkeit ausstrahlt. Außer ihm, bevölkern fünf weitere Familien das Haus. Er teilt sich das Stockwerk mit einem älteren Ehepaar. Überrascht halte ich inne, als ich die beiden üppig geschmückten Eingangsbereiche sehe.

„Wann …?“

Er zuckt mit den Schultern. „Heute Morgen. Mir war einfach danach … und da ich ohnehin gerade dabei war …“ Er deutet mit dem Kopf auf den Eingangsbereich der gegenüber liegenden Tür. „Frau Müller hat sich gefreut“, ergänzt er.

Innerlich jubiliere ich. Seit ich Timo kenne, ‚lebt‘ er Weihnachten. Sobald der St. Martins Tag vorüber ist, ist er normalerweise nicht mehr zu halten. Er hat mich und auch Stefan regelmäßig in schiere Verzweiflung getrieben mit seiner fast schon übertriebenen Schmück-Wut. Jetzt jedoch ist mir vor lauter Freude fast zum Heulen zumute. Als Stefan letztes Jahr ums Leben kam, hat Timo sämtliche weihnachtliche Dekoration in einen riesigen Müllsack gepackt und entsorgt. Dass er nun in sein altes Verhaltensmuster zurückfällt, kann im Grunde nur bedeuten, dass er langsam wieder auf die Beine kommt.

Er schließt die Wohnungstür auf, drückt die Tür nach Innen und lässt mich eintreten. Wie immer schlägt mir eine Hitzewelle entgegen. Timos Wohnung würde problemlos als Biosauna durchgehen. Ich schäle mich schnell aus meiner Jacke, während Timo der Tür einen leichten Stoß verpasst, damit sie ins Schloss fällt. Dann wendet er sich ab.

„Ich muss dringend aus der nassen Hose raus“, erklärt er.

„Soll ich derweil Kaffee aufsetzen?“, biete ich an.

Timo dreht sich noch einmal zu mir um. Ein schwaches Lächeln liegt auf seinem Gesicht. „Das wäre lieb, danke“, antwortet er und verschwindet in seinem Schlafzimmer.

Ich zwinge mich dazu, nicht die Tür anzustarren, hinter der Timo verschwunden ist und betrete die Küche. Ich finde mich in Timos Wohnung gut zurecht, dementsprechend gurgelt schon kurze Zeit später der Kaffee durch die Maschine. In den vergangenen Monaten war ich oft hier. Nach Stefans Tod musste Timo die gemeinsame Wohnung auflösen, da er sie alleine nicht mehr halten konnte. Es erschien mir wie eine Fügung des Schicksals, dass  er recht schnell diese Wohnung hier gefunden hat. Sie ist sogar ganz in meiner Nähe, so dass ich im Notfall schnell bei ihm sein kann.

Während ich noch auf Timo warte, nehme ich zwei Kaffeebecher aus einem der Hängeschränke und stelle sie neben der Maschine ab. Ich gebe in meine Tasse etwas Milch und fülle beide mit Kaffee auf. Ich betrachte den Dampf und nehme einen Schluck. Mein Kopf ist wie leergefegt. Ich versuche immer noch die Tatsache zu verdauen, dass es Timo langsam besser zu gehen scheint, ohne dass sich gleich wieder größere Hoffnungen breit machen. Einen Moment später bemerke ich Timo im Türrahmen. Keine Ahnung, wie lange er da schon steht. Er sagt kein Wort, starrt mich nur an. Er hat nicht nur die Hose gewechselt, sondern auch das Hemd. Die Ärmel sind bis zu den Ellbogen hochgekrempelt und es ist … rosa. An jedem anderen Mann würde diese Farbe vermutlich furchtbar aussehen, aber ihm steht es verdammt gut. Er wirkt wie immer geradezu unverschämt männlich mit diesen pechschwarzen Haaren und den ebenso dunklen Bartstoppeln. Er überragt mich um gut einen halben Kopf.

„Was ist?“, frage ich unsicher.

Er zuckt mit den Schultern. „Ich habe nachgedacht …“ Plötzlich geht alles furchtbar schnell. Timo nimmt mir die Kaffeetasse aus der Hand und drängt mich mit dem Rücken gegen den Kühlschrank. Eine Leichtigkeit für ihn, er ist wesentlich kräftiger als ich. Der Türgriff drückt sich unangenehm gegen meine Rippen, aber ich sehe mich außer Stande, mich zu wehren. Dann nimmt er mein Gesicht in beide Hände und küsst mich. Ich schließe die Augen und genieße. Diese Lippen sind um ein Vielfaches besser, als in meinen kühnsten Vorstellungen, besser als alles, das ich jemals erlebt habe. Sekunden oder auch Lichtjahre später fühle ich seine Zunge, die sich langsam zwischen meinen Lippen hindurch schiebt. Einladend öffne ich meinen Mund und ignoriere diese leise Stimme in meinem Innern, die mir weismachen will, dass hier etwas verdammt falsch läuft. Mit beiden Armen umschlinge ich ihn und ziehe ihn noch näher zu mir heran. Ich ertrinke regelrecht in dieser Nähe, die ich mir so lange schon wünsche. Ich weiß nicht wohin mit meinen ganzen Gefühlen und kann einfach nicht genug von ihm bekommen. Meine Hände schlüpfen unter sein Hemd und berühren die nackte Haut darunter. Sie ist warm und weich und ich streichle mit meinen Fingerspitzen jeden einzeln Millimeter, den ich erreichen kann. Timo brummt genüsslich in unseren Kuss hinein und ich werde mutiger. Ich taste mich zu seinem Hintern vor und gleite darüber. Ich fühle deutlich die Gänsehaut, die sich dort gebildet hat. Seine Hände sind indes auch nicht untätig. Mit klopfendem Herzen nehme ich zur Kenntnis, dass er meine Hose aufknöpft und den Reißverschluss nach unten zieht. In Erwartung dessen, was nun kommen wird, halte ich die Luft an. Und dann berührt er mich. Es bedarf nur weniger Handgriffe, damit ich steinhart werde. Ein lautes Stöhnen verlässt meinen Mund. Und dann ist plötzlich alles vorbei. Es dauert einige Sekunden, bis mein benebeltes Hirn registriert, dass sich etwas verändert hat. Timo ist von mir abgerückt und seine Augen blicken mir entsetzt entgegen.

„Timo …“, beginne ich.

Er schüttelt energisch den Kopf. „Nein … nicht!“ Als ob er sich verbrannt hätte, nimmt er beide Hände von mir. Als ich einen Schritt auf ihn zugehen möchte, weicht er so panisch zurück, als würde er erwarten, dass ich ihm im nächsten Augenblick einen Holzpflock durchs  Herz treibe.

Tränen steigen in mir hoch und bilden einen Kloß in meinem Hals. „Was soll ich tun, Timo?“, frage ich verzweifelter, als ich es eigentlich wollte.

Er schüttelt den Kopf und vergräbt anschließend beide Hände in seinem dunklen Haarschopf. „Weiß nicht“, nuschelt er. „Es tut mir leid, es ist nur …“

Als er auch nach einer gefühlten Ewigkeit nicht weiterspricht, frage ich nach: „Timo?“

Er wendet sich von mir ab und starrt aus dem Fenster. „Ich möchte bitte alleine sein“, antwortet er leise.

„Du willst, dass ich gehe?“, vergewissere ich mich. Ich bin nicht sicher, ob ich ihn auch wirklich richtig verstanden habe. Im Moment verstehe ich irgendwie überhaupt nichts mehr. Was zum Teufel passiert hier gerade?

Nach kurzem Zögern nickt er. Meine Erregung ist mittlerweile vollständig verschwunden. Das erleichtert zumindest das Schließen meiner Hose. Betont leise verlasse ich die Wohnung, auch wenn mir eher danach zumute ist, laut zu schreien und die Tür so kräftig zuzuknallen, dass die Wände wackeln. Wie ich nach Hause gekommen bin, weiß ich nicht. Ich bin wütend auf Timo,  vor allem aber auf mich selbst. Was bin ich nur für ein lausiger Freund. Natürlich hat Timo den Anfang gemacht, aber ich hätte doch wissen müssen, dass er noch nicht soweit ist. Aber ich musste ja wie ein liebeshungriger Idiot darauf eingehen.

Auch am nächsten Tag ist meine Laune nicht nennenswert besser. Timo ignoriert sowohl meine Anrufe, als auch die beiden SMS, die ich ihm geschrieben habe. Daraufhin beschließe ich, ihn zunächst in Ruhe zu lassen. Ich kenne ihn gut genug um zu wissen, dass Beharrlichkeit es nur noch verschlimmern würde. Auch wenn ich ihn wohl nie als Partner haben werde, als Freund möchte ich ihn unter keinen Umständen verlieren. Am darauffolgenden Tag erreicht mich eine Nachricht von ihm. „Muss nachdenken“ lautet der Inhalt.

*

In den nächsten Tagen lade ich mir selbst so viel Arbeit auf, dass ich gar keine Zeit habe, über Timo nachzudenken oder gar bei ihm aufzutauchen. Das funktioniert überraschend gut, denn abends bin ich so müde, dass ich wie ein nasser Sack ins Bett falle. Mittlerweile ist es Heilig Abend und es herrscht immer noch Funkstille. Wie in den vergangenen Jahren, werde ich den 24.12. bei meiner Schwester verbringen. Das handhaben wir bereits seit Jahren so. Einmal war sogar Timo dabei, das war allerdings, bevor er Stefan kennengelernt hat. Große Lust habe ich offen gestanden nicht aber meinen Versuch abzusagen, hat Miri sofort im Keim erstickt: „Du kommst her, basta. Deine Ausreden kannst du dir sonst wohin schieben“, war ihre Antwort gewesen. Im Nachhinein betrachtet bin ich froh darüber, dass Miri so resolut war. Sie und ihre Familie haben mich Timo für ein paar Stunden vergessen lassen. Allerdings hat sie mir zum Abschied auch einige Dinge in meinem Kopf zurecht gerückt, die ich insgeheim eh schon ahnte. Ich wollte sie zwar nicht hören, aber das hat Miri noch nie abgehalten. Mir tönen immer noch ihre Worte im Ohr. Vielleicht hat sie recht. Vielleicht sollte ich mir Timo wirklich aus dem Kopf schlagen. Wie soll denn jemals ein anderer Mann eine Chance haben, wenn er ständig einem Vergleich mit Timo standhalten muss? Dementsprechend deprimiert bin ich, als ich die Stufen zu meiner Wohnung hinauf steige. Mit dem, was mich allerdings auf dem obersten Treppenabsatz erwartet, hätte ich nicht gerechnet. Überrascht und besorgt zugleich halte ich inne.

„Timo? Ist etwas passiert?“, frage ich zögernd nach.

Er schüttelt den Kopf. „Nein … vielleicht doch. Können wir drin reden? Ich friere mir hier draußen nämlich langsam die Eier ab.“

Trotz meiner Sorge um ihn schmunzle ich insgeheim. Solche Dinge habe ich ihn schon sehr lange nicht mehr sagen hören. Die aufkeimende Hoffnung lässt sich nur leidlich wieder niederringen. Alles, was meine Schwester zu mir gesagt hat, ist wie weggefegt. Wenn es um Timo geht, scheint mein Herz lernresistent zu sein.

Ich schließe die Wohnungstür auf und lasse ihn eintreten.

„Kaffee?“, frage ich und fühle mich augenblicklich in der Zeit um einige Tage zurückversetzt.

„Gerne“, antwortet er und peilt das Wohnzimmer an. Als ich ihm einige Minuten später mit zwei Bechern Kaffee folge, sitzt er auf dem Sofa. Er hat meine Wolldecke fest um sich geschlungen und starrt auf einen imaginären Punkt vor sich. Nachdem er seine Hände aus der Decke geschält hat, drücke ich ihm den heißen Kaffee in die Hand. Er umfasst ihn mit beiden Händen und schließt genüsslich die Augen. Nachdem er einen kleinen Schluck genommen hat, sieht er mir direkt in die Augen. Ich habe mich inzwischen neben ihn auf das Sofa gesetzt. Mit gebührendem Abstand.

„Es tut mir leid“, sagt er lapidar.

Ohne nachfragen zu müssen weiß ich, dass er den Tag seines Friedhofbesuches meint, beziehungsweise das, was danach geschehen ist.

„Das was ich getan habe, war ein Fehler“, beginnt er. Ich schließe die Augen und schüttle den Kopf. Er soll nicht weitersprechen, ich möchte nicht hören, wie falsch es war, mich zu küssen. In meinem Innern wächst ein Brocken, der mir tonnenschwer im Magen liegt. Ich öffne den Mund, um zum Widerspruch anzusetzen.

„Nein!“, bestimmt er. „Lass mich ausreden.“

Ich seufze leise, tue jedoch, wie mir geheißen.

„Ich habe Stefan wahnsinnig geliebt – das tue ich noch. Und ich werde es noch tun, wenn ich meinen letzten Atemzug mache.“ Mein Mund wird staubtrocken. Miri hatte recht, mit jedem einzelnen, verdammten Wort.

„Als ich … als wir … ich habe mich schuldig gefühlt, als ob ich Stefan betrügen würde, verstehst du?“

Nein, ich verstehe nicht. Und ich glaube, dass ich es auch gar nicht verstehen möchte.

„Diese beiden Wochen … ich hatte eine Menge Zeit zum Nachdenken und dabei ist mir etwas klar geworden.“

Ich klammere mich an meiner Tasse fest und sehe ihn an.

„Ich muss Stefan los lassen. Bis vor ein paar Wochen war allein der Gedanke daran unerträglich. Bei all meiner Trauer, habe ich vergessen zu leben. Habe ich dir je gesagt, dass ich am Anfang immer noch mit ihm geredet habe? Er saß beim Frühstück neben mir, ist mit mir zusammen in den Supermarkt. Ich habe mich so sehr an ihn geklammert, dass ich mir sogar eingebildet habe, ihn zu riechen. Das Schlimmste aber war, dass ich mich nie richtig von ihm verabschieden konnte. Sie haben nicht zugelassen, dass ich ihn mir noch einmal anschaue. Ich solle ihn so in Erinnerung behalten, wie er war, haben sie gesagt.“

„Sie wollten dich schützen“, verteidige ich Stefans Familie.

„Ich weiß, aber es hätte nicht ihre Entscheidung sein dürfen, sondern meine“, erwidert er. „Aber okay, daran lässt sich jetzt ohnehin nichts mehr ändern. Was ich jedenfalls damit sagen wollte: ich hätte dich nicht so überfallen dürfen, aber vor allem hätte ich dich anschließend nicht wegschicken dürfen. Ich mag dich nämlich. Ich mochte dich schon immer.“

Moment, jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Bei ‚ich liebe Stefan‘ ist mein Herz irgendwie ausgestiegen.

„Wie du magst mich?“, will ich irritiert wissen.

„Naja mögen eben … im Sinne von mit dir zusammen sein wollen“, erklärt er mit einem fast schon ungeduldigen Unterton.

„Aber … warum hast du denn nie etwas gesagt?“, japse ich. Ich stehe kurz davor zu hyperventilieren und vermutlich werde ich gleich platzen.

„Benedict, kannst du dich auch nur an eine Situation erinnern, in der ich von mir aus auf einen anderen Mann zugegangen wäre?“, erklärt er mir.

Stimmt, das hat er noch nie getan. Er sieht fantastisch aus, er könnte an jedem Finger fünf Männer haben – aber er ist im Grunde seines Herzens furchtbar schüchtern.

„Bene?“

„Was?“, piepse ich. Meine Stimme klingt viel zu hoch.

„Es wäre gut, wenn du jetzt dazu etwas sagen würdest, bevor ich mich komplett zum Trottel mache.“ Seine Wangen sind gerötet.

Ich hole einige Male tief Luft. Die ganze Zeit über hat meine Angst vor einer Zurückweisung mich davon abgehalten Farbe zu bekennen, doch damit ist jetzt Schluss. Und dann sage ich, was ich hätte längst schon aussprechen sollen: „Ich war in dich verliebt von der ersten Sekunde an. Und heute – heute liebe ich dich mehr denn je.“

Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Genau das Lächeln, das ich so sehr vermisst habe. Seine Nase kräuselt sich ein klein wenig und man sieht diese kleine sexy Lücke zwischen seinen Schneidezähnen. Und plötzlich ist sie da … diese Gewissheit, dass alles gut werden wird.

~*** Ende ***~


Ich wünsche euch und euren Lieben ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest. 
Das 12. Türchen findet ihr ab dem 12.12.2012 auf Sigrids Blog (http://sigridfrings.blogspot.de/)

7 Kommentare:

  1. Guten Morgen!

    Danke für diese Geschichte. So traurig und doch so voller Hoffnung.

    Liebe Grüße und eine schöne Adventszeit.

    Steffi

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  2. Wieder eine Geschichte, die einen die Tränen in die Augen schießen lässt.
    Manchmal lohnt es sich eben geduldig zu sein ...
    Vielen Dank für deinen sehr süßen Beitrag!
    lg
    karo

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  3. Guten Morgen!
    Eine tolle Geschichte, die traurig beginnt und am Ende
    die Glocken läuten lässt. Außerdem endlich mal ein
    Weihnachtsfan, der Timo!

    LG
    Martina

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  4. Es muss Timo sehr viel Überwindung gekostet haben sich einzugestehen Stefan gehen zu lassen und sich jemand neues zu zuwenden.
    Für Bene ging damit ein Herzenswunsch in Erfüllung.

    LG Piccolo

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  5. OH Mann, das ist schön, auch wenn es sicher schwer ist, zu wissen, dass man immer die "zweite Wahl" ist ... aber sie scheinen einen guten Start hinzulegen :D

    LG Katrin

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  6. Schöne, emotionale Story die trotz allem auf ein Happy-End hoffen lässt. Tränchen wegwisch.

    LG Rita

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  7. Bei der Stelle, wo Timo von seiner Trauer erzählt, sind meine Augen wirklich etwas heiß geworden. Sehr schöne Geschichte, hat mir gut gefallen. :)

    LG
    Lelis

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